📖 Rezension zu: „Kollisionen“ von Florian Scheibe

https://i0.wp.com/www.klett-cotta.de/media/1/9783608980318.jpg

Dieses Werk lässt mich zwiegespalten zurück…

Die gut verdienende Architektin Carina vermag nicht mehr rechtzeitig zu bremsen, als ihr die sechzehnjährige Mona unerwarteter Weise vor das Fahrrad läuft. Auf ihre Versuche, sie anzusprechen, reagiert der Teenager ebenso wenig, wie auf ihr immer energischer werdendes Anstupsen. Doch irgendwann bemerkt Carina den Grund für das merkwürdige Verhalten des ihr unbekannten Mädchens: Offensichtlich steht sie unter dem starken Einfluss von Drogen. Nach dieser Feststellung steigert sich ihre Wut jedoch noch weiter, als sie auf die leichte Wölbung des Bauches aufmerksam wird.
Wieso wird ein obdachloser, jugendlicher Junkie schwanger, während sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten Tom verzweifelt versucht, eine Familie zu gründen? Diese Ungerechtigkeit ist Carina unbegreiflich.
Und so fasst sie den Entschluss, dass Tom und sie sich untersuchen lassen sollen – länger möchte sie auf ein eigenes Kind nicht warten müssen. Nach den nicht ganz so rosig ausfallenden Untersuchungen entscheiden sich die beiden für eine Kinderwunschbehandlung.
Während das gut gestellte Paar mit aller Kraft versucht, ein Kind zu bekommen, ist Mona, die, von der Kälte in ihrem reichen Elternhaus aus der Bahn geworfen, auf der Straße lebt, Drogen nimmt, ungewollt schwanger geworden.
Es folgen weitere Kollisionen, welche dazu beitragen, dass sich Toms, Carinas und Monas Leben immer weiter verstricken, obwohl sich die Lebensentwürfe der drei zunehmend verändern.

Nachdem ich den Klappentext gelesen hatte, war ich auf das Buch sehr gespannt. Zum einen denke ich, dass das Thema des unerfüllten Kinderwunsches sehr viel Potential bietet und Raum für einen bewegenden Roman schafft und zum Anderen war ich der Überzeugung, dass die verschiedenen aufeinanderprallenden Lebenswelten zahlreiche weitere Möglichkeiten bieten, Kontraste darzustellen oder die Charaktere eine (Weiter-)Entwicklung durchlaufen zu lassen.
Als ich dann mit dem Buch begann, konnte ich bereits nach wenigen Sätzen in die Erzählung abtauchen. Der häufig bildhafte Schreibstil ermöglicht ein lockeres Lesen, sodass man bereits nach kurzer Zeit die 337 Seiten durch hat. Aufgebrochen wird dieses unbeschwerte Lesen meines Erachtens durch die ständigen Perspektivwechsel, denn sowohl Mona als auch Carina und Tom berichten aus ihrem Leben. Dabei geschieht Beschriebenes manchmal nacheinander, immerzu jedoch auch zur selben Zeit. Darüber hinaus weiß man nicht, aus welcher Perspektive gerade geschrieben wird, was bei mir des öfteren zu Verwirrung führte.
Sobald allerdings eindeutig wurde, um welchen Charakter und um welche Zeit es sich handelt, wurde der Abschnitt für mich wieder spannend. Da die unterschiedlichen Figuren eine individuelle Sicht auf die Welt haben, konnte man sich so ein besseres Bild von den Protagonisten machen und die Unterschiede in ihrem Leben besser erkennen.
Allerdings stellt mich die Figurengestaltung vor ein weiteres Problem: Auch wenn ich die Wut von Tom und Carina über den unerfüllten Kinderwunsch, auch aufgrund der meist in diese Richtung gehenden Beschreibungen, gut nachvollziehen konnte, wirkten weder ihr Verhalten noch ihre Gefühle so richtig stimmig auf mich. Denn sie verspüren keineswegs nur Wut, sondern ihr Zorn schlägt sich immer wieder sogar in aggressivem, ja sogar gewalttätigem, Verhalten wider. Für dieses gibt es aus meiner Sicht jedoch nie einen wirklichen Grund – keinen Auslöser, welcher ein solches Benehmen rechtfertigen würde.
Darüber hinaus verliert sich ihre Authentizität beim Zurückgreifen auf eine Vielzahl von Vorurteilen: Das glückliche Paar, welches bemerkt, dass es neben der Karriere auch noch etwas anderes, vielleicht sogar wichtigeres, gibt. Der Lebensgefährte, der, von dem unerfüllten Kinderwunsch und der entwürdigenden Diagnose bezüglich seiner Zeugungsfähigkeit, deprimiert, sich in eine Affäre mit einer jungen Kollegin stürtzt – und dann inflagranti von seiner Freundin erwischt wird. Die Liste könnte man noch ein ganzes Stück fortsetzten, darauf verzichte ich an dieser Stelle jedoch. Treten solche Klischees vereinzelt auf, ist das für mich keineswegs ein Störfaktor, häufen sie sich allerdings, verstärkt sich das Gefühl, etwas Konstruiertes zu lesen.
Des Weiteren waren mir sowohl Tom als auch Carina nach einer Weile des Lesens recht unsympathisch. Konnten mich ihre Verzweiflung und ihr Wunsch nach einem Kind am Anfang noch berühren, wurden sie mir irgendwann immer fremder und unverständlicher. Mir wurde zunehmend die karrierebezogene und auf eine gewisse Art unehrliche Weise der beiden zu präsent.
Mona hingegen, die zu Beginn als Junkie auftritt, der bereits im Jugendalter verloren zu haben scheint, gewinnt Seite um Seite. So weiß sie beispielsweise um den Vater, kann ihm davon erzählen und sich Gedanken zu ihrer (vielleicht gemeinsamen) Familie machen. Dabei entwickelt sie sich Stück für Stück zu einer jungen Frau.

So sind die Charaktere durchaus unterschiedlich und wandeln sich auch, aber jeder auf seine Art und keineswegs immer zum Besseren. Manche Handlungen erscheinen mir wie Trotzreaktionen, andere sind mir einfach so unverständlich, wiederum andere hingegen wirken stimmig auf mich. Der Schreibstil ist ansprechend und die Erzählweise bewirkt, dass die Seiten nur so fliegen. Die vielen Kollisionen wirken gekünzelt, da zwischendurch einfach zu dick aufgetragen wird.

Insgesamt lässt mich „Kollisionen“ zwiegespalten zurück, sodass ich auch für meine Bewertung genau die Mitte, also 2,5 Sterne, wähle.

Hier geht es zur Buchseite -> klick

und hier gelangt ihr zur Verlagsseite -> klick

Hinterlasse einen Kommentar